Es gibt Begriffe, die jede*r kennt und die häufig verwendet werden, ohne dass über deren Bedeutung allzu viel nachgedacht wird. Sie kommen oft in Büchern und Zeitungsartikeln vor, sie werden immer wieder in Vorträgen und Gesprächen erwähnt und sie tauchen auch in unseren Gedanken auf. Weil sie so häufig vorkommen und allgemein bekannt sind, wird davon ausgegangen, dass diese Begriffe fixe Konstanten sind und alle wissen, um was es geht. Dies ist allerdings nicht notwendigerweise der Fall.
Es ist von entscheidender Bedeutung, scheinbar etablierte Begriffe immer wieder aufs Neue zu hinterfragen. Wie lautet meine eigene Definition von einem Begriff? Wie kommuniziere ich mit anderen über ein bestimmtes Thema? Haben wir eine gemeinsame Basis, so dass wir uns auch wirklich verstehen können?
In diesem Beitrag möchte ich einen solchen Begriff genauer betrachten – und zwar geht es um Erfolg.
Wenn heutzutage von Erfolg gesprochen wird, dann bezieht sich dies meist auf finanzielle Aspekte oder gewisse wirtschaftliche oder gesellschaftliche Positionen. Man hat es geschafft – was immer dieses es auch sein soll. Dabei geht es fast immer um die Anerkennung durch andere und das Erreichen bestimmter gesellschaftlich vorgegebener Maßstäbe:
Der Maßstab für Erfolg in der Bildung ist ein gutes Abschlusszeugnis. Der Maßstab für Erfolg im Berufsleben ist ein hohes Gehalt und/oder eine prestigereiche Position. Der Maßstab für Erfolg einer Nation ist ein hohes Bruttoinlandsprodukt. Maßstäbe für Erfolg in der technischen Entwicklung sind z.B. leistungsstarke Prozessoren, Roboter, die menschliche Tätigkeiten ersetzen können, und die immer weiter reichende Erkundung des Weltalls.
Wenn man sich selbst, seine Mitmenschen und die Welt generell mit dieser weit verbreiteten aber stark eingeschränkten Sichtweise betrachtet, dann resultiert daraus eine klare Einteilung in „erfolgreiche“ und „nicht erfolgreiche“ Menschen, Projekte, Regierungen, Nationen etc. Es ist ein einfach anwendbares Schema mit klaren Resultaten. Es schafft ein leicht verständliches Weltbild mit den Verlierern auf der einen Seite und den Gewinnern auf der anderen. Es ist leicht zu erkennen was „gut“ und was „schlecht“ ist, was erstrebenswert ist, und wohin man sich orientieren sollte. Ich glaube, dass diese Einfachheit ein Grund ist, warum diese Denkweise für viele Menschen so attraktiv ist und nur selten hinterfragt wird. Ein weiterer Faktor ist wahrscheinlich die starke Präsenz dieses Weltbilds in den Medien.
Ursprünglich stammt der Begriff Erfolg vom Verb erfolgen, im Sinne von „geschehen“, und bedeutete ganz einfach nur „Ausgang, Wirkung“. Später änderte sich die Definition dann zu „Erreichen eines Zieles“.
Der Duden online bezeichnet Erfolg als „positives Ergebnis einer Bemühung; Eintreten einer beabsichtigten, erstrebten Wirkung“ und bei Wikipedia steht: „Um Erfolg handelt es sich, wenn Personen oder Personenvereinigungen die gesetzten Ziele erreichen.“
Bei Erfolg geht es also immer um Ergebnisse, Wirkung und Ziele, das haben die unterschiedlichen Definitionen gemeinsam. Wie diese jedoch aussehen sollen, das steht nirgends geschrieben – dabei handelt es sich um etwas ganz Persönliches. Es sind unsere eigenen Wünsche, Träume und Visionen, die wir verwirklichen dürfen, um so auf unsere ganz individuelle Weise erfolgreich zu sein. Niemand außer uns selbst hat das Recht, unseren eigenen Erfolg zu bewerten und genauso wenig dürfen wir uns anmaßen, den Erfolg anderer zu bewerten.
Dies gilt im „Kleinen“ wie im „Großen“, innerhalb der Familie genauso wie auf internationaler Ebene. Wenn es um gemeinsame Projekte geht, muss sich zusammen darauf geeinigt werden, wie Erfolg für dieses Projekt definiert wird. Es geht nicht darum, was die „gängige Meinung“ oder die „allgemeine Annahme“ ist. Menschen sind nun mal verschieden – mit all ihren Wünschen, Träumen, Bedürfnissen und Gaben. Lasst uns dieses Geschenk der Vielfalt annehmen und sie als Reichtum sehen, anstatt als etwas, das angepasst und in ein Schema gepresst werden sollte. Die Frage „Was bedeutet Erfolg für mich?“ kann letztendlich jede*r nur für sich selbst beantworten.
Dieser Artikel erschien erstmals im Jahr 2017 in „die freilerner – Zeitschrift für selbstbestimmtes Leben und Lernen“ Heft 76 – Postfaktisch – Was schafft Realität?.